Mila Chen und Karl Tappe bringen den Berlinern die hohe Kunst der Zubereitung des Getränks in ihrem Geschäft „Chentee“ in Wilmersdorf nahe.
In den Räumen des im vergangenen November eröffneten „Chentee“ treten Kunden ein in die faszinierende Welt taiwanesischen Tees. Hinter den hohen Fenstern verstummt die verkehrsumtoste Uhlandstraße, als würde der Lärm abgesaugt. Leise fernostasiatische Töne klingen aus den Lautsprechern durch die klar und stilvoll asiatisch eingerichteten Räume.
Linkerhand befindet sich auf einem kleinen Podest ein mit Bambusmatten ausgelegter Tatami-Sitzbereich mit niedrigem Tischchen, wie man ihn aus einigen japanischen Restaurants kennt. Er darf nur ohne Schuhe betreten werden. Geradeaus dominiert ein langer Tisch aus dunkelbrauner Asienfichte den Raum. Bestimmt zehn Zentimeter dick ist die Platte, auf der die filigrane Anordnung eines klassischen Tee-Sets noch kleiner wirkt als sie ohnehin ist.
Am Tisch steht Teezeremonienmeisterin Mila Chen und ordnet mit konzentrierten Bewegungen, die Utensilien für eine Teeprobe. Auf einem Stück Bambus liegt eine Handvoll dunkler, eingerollter Teeblätter. Aus einer alten eisernen Wasserkanne wird heißes Wasser in eine tonfarbene, von öliger Patina überzogene kleine Teekanne gegossen, geschwenkt, ausgegossen. „Wichtig ist, dass es nicht kocht“, erläutert Mila Chen. Sodann wird die Kanne von außen mit heißen Wasser begossen. Damit die Tischplatte nicht unter Wasser gesetzt wird, steht die Kanne auf einem Untersetzer mit Wasserauffangbehältnis, Cha Pan genannt.
In einem Holzregal stehen seltene Stücke der Teekannensammlung
Als nächstes füllt Mila Chen einige der Teeblätter in die vorgewärmte Kanne und gießt sie mit dem heißen Wasser auf. „Hochland Jin Xuan Alishan“ heißt die Sorte. Während die Mittvierzigerin mit langem, schwarzem Haar still die kleinen Teeschalen spült, spricht ihr Mann Karl Tappe wie ein über Steine fließender Gebirgsbach. In melodischem, rheinländischen Singsang preist er die Qualität taiwanesischen Tees, nennt unzählige, nicht zu merkende taiwanesische Sortennamen, erklärt, dass alle Tees, die in einer bestimmten, zu Zeiten der späten Mingdynastie von buddhistischen Mönchen in Südchina entwickelten Weise hergestellt werden, als Wulong, oder Oo-Long Tees bezeichnet werden können.
100 Prozent durchoxidierte Tees bezeichnet man im Chinesischen als Roten Tee, bei uns Schwarztee genannt, gar nicht oxidierte als Grünen Tee. Alles dazwischen sei im Prinzip Wulong, ein semioxidierter Tee. „Die Teesorte, der Grad der Oxidation und die besondere Verarbeitung der Blätter bestimmen neben anderen Faktoren wie Bodenbeschaffenheit, Klima und so weiter den Geschmack des Tees“, erklärt Tappe. Und dass die meisten Teeblätter für kurze Zeit hohen Temperaturen ausgesetzt würden, was die Oxidation unterbindet. Anschließend werden sie bei niedrigen Temperaturen getrocknet und dann gerollt. Tappe zeigt seltene Stücke seiner Teekannensammlung in einem Holzregal und berichtet von der Tradition in Taiwan, zu wichtigen Geschäftstreffen seltene alte Tees als Geschenk mitzubringen.
Cattys können leicht mehr als 1000 Euro kosten
Diese etwa 600 Gramm schweren, sogenannten Cattys können leicht mehr als 1000 Euro kosten. „Tee ist kostbar“ erklärt Tappe. Dann reicht seine Frau die kleinen Teeschälchen mit aristokratischer Geste. „Vorsicht“, warnt sie, „heiß.“ Ein leicht erdiger, grasiger Geschmack macht sich im Mund breit, ein Geschmack, den man als europäischer Teetrinker nicht unbedingt als typisch für Tee bezeichnen würde.
„Das ist das Besondere an den taiwanesischen Oldstyle-Tees“, erklärt Karl Tappe und beginnt einen Exkurs über die Geschichte Taiwans im allgemeinen und seiner Tees im Besonderen. Der hochgewachsene, schlanke Mittfünfziger kennt sich deshalb so gut aus, weil er vor fast 30 Jahren als Student der Sinologie und Kulturwissenschaften an der Freien Universität nach Taiwan ging. „Irgendwie hatte ich mir damals vorgestellt, da laufen die Menschen alle im Gelehrtengewand mit Konfuzius- und Laotse-Schriften in der Hand herum.“ Dem war nicht so. Stattdessen starrten viele Taiwanesen auf ihre Taschenrechner. Tappe erlebte ein Land im ökonomischen und sozialen Umbruch, die Wirtschaft brummte, jeder versuchte, „Business zu machen“.
Bei Auktionen lassen sich Höchstpreise erzielen
Wir sind mittlerweile beim fünften Aufguss des ersten Tees angekommen. „Wenn man den Tee hintereinander aufbrüht, ist das kein Problem“, erklärt Mila Chen. Tappe erzählt derweil, dass er rasch das Umgangschinesisch lernte, von Übersetzungen für Industriekonzerne lebte und bald erkannte, welche Bedeutung Tee im wirtschaftlichen Umfeld hatte. „Es war nicht nur ein Genussmittel. Es wurde auch zum Statussymbol.“ 50 bis 80 Jahre alte Tees mit historischen Verpackungen erzielten mittlerweile Höchstpreise bei Auktionen. „Im Prinzip ähnlich der Entwicklung von alten Bordeaux-Weinen in Europa“, meint Tappe.
Was das Kauferlebnis bei „Chentee“ zusätzlich attraktiv macht, ist die Tatsache, dass Kunden hier mit viel Ruhe probieren und auf das fast enzyklopädische Fachwissen der Inhaber in Sachen Taiwan-Tee zurückgreifen können. Mehrmals im Jahr fährt das Paar auf die ostasiatische Insel, lebt bei den Teebauern und bezieht von ihnen seine Tees. Als Service bietet Mila Chen auch Teezeremonien an, die per Telefon oder via Facebook terminiert werden können.
Quelle: morgenpost.de