Kein anderes Volk in Europa gibt so viel Geld für Möbel aus wie die Deutschen. Das Zuhause als Rückzugsort ist in einer sich täglich wandelnden Welt wichtiger denn je. Doch auch die Bedürfnisse haben sich verändert. Menschen wollen jetzt nicht mehr, sondern weniger: weniger Fläche, weniger Farbe. Dem muss auch die Möbelindustrie Rechnung tragen.
Wohnen ist ein anerkanntes Grundbedürfnis des Menschen – günstig ist es deswegen nicht. Strengere Bauauflagen und gestiegene Grundstückspreise treiben Immobilienpreise und Mieten in die Höhe. „Das zeigt sich insbesondere in den attraktiven Ballungsgebieten“, erklärt Kay Mack, der seit zwanzig Jahren als selbstständiger Architekt in Frankfurt arbeitet. Den Trend zur Urbanisierung vermag diese Entwicklung allerdings nicht aufzuhalten, bleibt doch die Arbeitsmarktsituation in der Stadt deutlich günstiger als auf dem Land.
Architekt Kay Mack
Bessere Vernetzung, Infrastruktur und kulturelles Angebot sind weitere gewichtige Gründe, die vor allem die nachwachsende Generation in die Metropolen zieht. „Aber auch Rentner drängen in die Städte“, weiß Mack. „Denn die haben natürlich festgestellt, dass sie in den Metropolen länger mobil und unabhängig bleiben können.“ Also muss eine andere Lösung her, um nicht zunehmend mehr Geld für die eigenen vier Wände auszugeben. Es muss gespart werden, und zwar an Platz. Immer mehr Bundesbürger bevorzugen kleinere Wohnungen. Das gilt sowohl für den Kauf von Eigentum als auch für das Wohnen zur Miete.
Zumal die Tendenz zur räumlichen Verkleinerung ebenfalls durch eine andere gesellschaftliche Entwicklung befördert wird: dem Anwachsen der Single-Haushalte. Feste Bindungen werden heute im Durchschnitt später geschlossen und halten oft nicht lebenslang. Ledige, Geschiedene und Alleinerziehende sind eine kontinuierlich wachsende Klientel. Mack begrüßt den Trend zu kleineren Wohnungen. Er sieht darin die Möglichkeit einer Rückkehr zu mehr Urbanität. „Wenn ein Pärchen im Westend in einer sehr großzügigen Wohnung lebt, die auch für eine Familie groß genug wäre, und davon nur zwei Monate im Jahr da ist, dann ist das weit entfernt vom städtischen Denken.“Ein Trend, der sich auch in Frankfurt deutlich manifestiert – weshalb ihn Oberbürgermeister Peter Feldmann sogar in seiner Neujahrsansprache aufgriff. „An der Auftragslage sehen wir, dass Eineinhalb-bis Zwei-Zimmer-Wohnungen stark nachgefragt sind“, bestätigt Kay Mack. Der Impetus auf weniger Fläche zu wohnen, um Geld zu sparen, betreffe nicht nur die sozial Schwachen, sondern auch die Besserverdiener. „Das zieht sich durch alle Schichten.“
Der Architekt würde die Verdichtung des Wohnraums vor allem im Zentrum empfehlen – die von der Politik avisierte Nutzung von Grünflächen zu diesem Zweck findet er bedenklich. „Das wäre ein Riesenfehler, denn darunter würde die Attraktivität der Stadt leiden. Schön und besonders an Frankfurt ist ja unter anderem, dass man im Norden viel Grün hat. Besser etwas enger wohnen als eine Landschaft zersiedeln.“ Mack geht davon aus, dass der äußere Zwang auch zu einer veränderten Wahrnehmung der an das Zentrum anschließenden Ortsteile beitragen wird. „Frankfurt könnte in den Köpfen wieder größer werden. Dann registrieren viele Menschen vermutlich erst wieder, dass auch Griesheim oder Preungesheim zur Stadt gehören.“
Überdruss am Überfluss
Eine kleine Wohnung birgt nicht nur beim Kauf oder Anmieten Vorteile, sondern auch in Sachen Energieeffizienz. „Wenn man einmal erlebt hat, wie schnell sich etwa ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer aufheizt, dann weiß man, welches Einsparpotenzial man da hat“, konstatiert Kay Mack. „Da kann man sich die Dämmung schenken und die Nebenkosten fallen viel geringer aus.“ Es sei ohnehin so, dass manche Menschen auf unnötig viel Raum leben würden – was keinen Zugewinn an Lebensqualität, sondern lediglich ein Mehr an überflüssigem Mobiliar zur Folge habe.
„GROSS KANN JA JEDER.“ – KAY MAC
„Es gibt da eine Regel, von der ich glaube, dass sie sich tatsächlich häufig bewahrheitet“, erklärt er. „Je größer eine Wohnung ist, desto mehr ist sie mit eigentlich verzichtbaren Sachen vollgestellt. Daher bringt eine Verkleinerung des Wohnraums in gewisser Weise auch eine Reduktion auf das Wesentliche mit sich.“ Eine kleine Wohnung ebenso ansprechend zu gestalten wie eine große, sei bei einer „pfiffigen Planung“ absolut möglich.
Kommoden und Sessel passen sich an die verringerte Fläche an und schrumpfen ebenfalls.
„Die Herausforderung ist es, den bestehenden Wohnraum besser auszunutzen – raumsparend und effizient zu denken. Das ist natürlich auch planerisch anspruchsvoller. Groß kann ja jeder.“ Viele Altbauten in Frankfurt indes würden dem derzeitigen Bestreben der Menschen, sich zu verkleinern, nicht gerecht werden. „Für Familien ist hier oftmals das Problem, dass die sich eigentlich Mehrzimmer-Wohnungen wünschen. Altbauten haben meist große repräsentative Räume. Da landet man schnell bei 120 Quadratmetern und mehr, was sich die Menschen bei den heutigen Preisen und Mieten nicht mehr leisten können.“
Durch die Verkleinerung des Raumes gehen Küche und Wohnzimmer zunehmend ineinander über.
Mack prognostiziert aus diesem Grund eine „Renaissance von Ernst-May-Wohnungen“, die seinerzeit ebenfalls in einer Zeit akuter Wohnungsnot errichtet worden seien. „Und sie sind auch heute noch zweckmäßig.“ Die Verkleinerung des Wohnraums hat auch für die Raumaufteilung Folgen. Einst durch Wände voneinander abgetrennte Bereiche verschmelzen miteinander. Diesen Trend konstatiert Manfred Amrhein, Geschäftsführer der Poggenpohl-Niederlassung in Frankfurt, insbesondere für den Bereich Küche.
„Der Stellenwert der Küche ist in den vergangenen Jahren extrem gestiegen, sie wird für viele zum zweiten Wohnzimmer. Das sinnliche Kocherlebnis soll nicht mehr abgetrennt vom Rest der Wohnung stattfinden. Auch der Geruch von Essen wird nicht als störend, sondern als angenehm empfunden. Der offene Grundriss befördert das gesellige Beisammensein. Zubereitung von Essen gilt inzwischen als privates Entertainment. Aus diesem Grund und weil immer mehr Menschen auf kleinerer Fläche wohnen, gehen die Bereiche Wohnen – Kochen – Speisen zunehmend ineinander über.“
Multifunktionale Esstische wie dieser von Draenert lassen sich situativ erweitern oder verkleinern.
Ein Trend, den Amrhein bereits seit Jahren aus fernöstlichen Gegenden kennt. „Hier ist das Problem mit den Immobilienpreisen noch exorbitanter als bei uns.“ Trotz der Notwendigkeit zur Verkleinerung würden die Menschen vorrangig nicht an Platz in der Küche sparen. „Da fängt man zuerst bei anderen Räumen an. Die Küche als Lebensmittelpunkt wird nicht merklich reduziert. Dennoch sei spürbar, dass Menschen sich räumlich beschränken müssten. „Man konzentriert sich natürlich aufs Wesentliche.“ Zudem arbeite man daran, funktional immer ausgefeiltere Möbel auf den Markt zu bringen. „Der Trend geht hin zu vielseitig nutzbaren Möbeln.“
Manfred Amrhein, Verkaufs- und Planungsleuter bei Poggenpohl Frankfurt
Bei Poggenpohl hat man deshalb neue Themenschränke mit Namen „Stage“ entwickelt: Mit diesen 120 Zentimeter breiten Schrankelementen können Tätigkeiten, die man bisher an verschiedenen Stellen der Küche ausführte, nun zentral an einem Ort erledigt werden wie etwa beim Themenpaket „Tee“ Wasser aufbrühen, Teeblätter hinzugeben und den Tee im feinen Geschirr kredenzen. Die Schränke sind mit einschiebbaren Drehtüren ausgestattet, die sich nach individuellen Bedürfnissen kombinieren und positionieren lassen.
Jens Fay ist Inhaber der Frankfurter BoConcept-Niederlassung.
Kompakt, stilvoll und flexibel – diese Aspekte sind es auch, auf die man beim dänischen Möbelhersteller BoConcept Wert legt. „Design und Funktion stehen bei uns gleichberechtigt nebeneinander“, erklärt Jens Fay, Inhaber von BoConcept Frankfurt. „Selbst ganz kleine Apartments können wir vollständig ausstatten.“
Um Komplettlösungen für jede Wohnungsgröße realisieren zu können, setzt man bei BoConcept unter anderem auf veränderbare und vielfältig nutzbare Möbel wie Schlafsofas oder sogar Schlafhocker, die innerhalb weniger Sekunden zum Bett umfunktioniert werden können.
„Das ist eine tolle Lösung auch für Menschen, die nur auf ganz wenig Platz wohnen.“ Genauso wie der zum Esstisch erweiterbare Couchtisch. Auch hier genügen dazu wenige Handgriffe. Wer für sein Arbeitszimmer wenig Raum zur Verfügung hat, dem empfiehlt Fay den ausklappbaren Sekretär mit Wandhalterung. „Für uns ist es wichtig, dass die Einrichtung praktisch und bedarfsgerecht ist. Unsere Möbel sind sehr wandlungsfähig. Wir können uns so perfekt auf den Kunden einstellen.
„EINE WOHNUNG IST WIE EIN SCHUH – SIE MUSS PASSEN.“ – JENS FAY
Ein Sofa, das nur 1,40 Meter misst? Kein Problem! Ein ganz langes Sofa? Ebenfalls möglich!“ Wohnen auf weniger Fläche könne auch einen Beitrag zur Lebensqualität leisten, findet Fay. „Lebt man zum Beispiel alleine in einer überdimensionierten Wohnung, kann man sich darin schnell verloren vorkommen. Eine Wohnung ist wie ein Schuh, sie muss passen. Man muss sich wohlfühlen. Und manchmal ist zu viel Volumen einfach nur unnötiger Ballast.“
Möbel werden mini
Möbel werden durch die Reduzierung der Wohnfläche nicht nur mulitfunktionaler, sondern auch kleiner. Nur folgerichtig also, dass auf der internationalen Möbelmesse in Köln Anfang dieses Jahres die meisten Ausstellungsstücke an Umfang und Größe verloren hatten. Nach vielen Jahren sind etwa Betten wieder im Format von 1,80 oder gar 1,60 Metern Breite wieder gefragt.
Günter Hildmann (Betten Zellekens) – Ein hochwertiges Bett ist die beste Gesundheitsvorsorge
Günter Hildmann, Geschäftsführer von Betten Zellekens in Frankfurt, weist allerdings darauf hin, dass Kunden derzeit vor allem verstärkt in Qualität von Betten und Bettwäsche investieren würden. „Körperliches Wohlbefinden wird den Menschen immer wichtiger. Ein hochwertiges Bett ist die beste Gesundheitsvorsorge – diese Überzeugung spiegelt sich momentan ganz deutlich in den Verkaufszahlen.“ Riesige Sitzlandschaften kommen aus der Mode – die neuen Sofas sind klein und elegant. Die Sitzfläche wurde dabei allerdings kaum reduziert, sondern vielmehr Rücken- und Seitenlehnen zierlicher gestaltet.
Komfort bleibt ein Muss – wie bei dieser Polsterkombination von Koinor.
Wichtig beim neuen Design: Die Verkleinerung darf nicht zu Lasten des Komforts gehen. Für Bequemlichkeit sorgen Armlehnpolster sowie schräge Sitz und Rückenflächen. Und auch in Sachen Ästhetik stehen die neuen Sitzgelegenheiten ihren Vorgängern in nichts nach. Filigrane Beine oder Metallkufen tragen die neuen kompakten und zum großen Teil eckigen Polsterformen. Der Aspekt der Raumersparnis hat ebenfalls bei den Ablageflächen Priorität. Statt Couchtischen kommen wahlweise Beistelltische, Tischeinsätze direkt am Sofa oder Aufsätze, die über das Polster gestellt werden können, zum Einsatz.
Im Arbeitszimmer treten schlanke Sekretäre an die Stelle ausladender Schreibtische. Kombinationen aus Regal, Vitrine und Arbeitstisch sind im Kommen. Auch bei Regalen und Schrankelementen achten Möbelhersteller darauf, dass diese nicht zu viel Platz beanspruchen, und designen etwa ihre Böden weniger tief. Dadurch können sie näher an der Wand stehen.
Klappen statt klotzen – Auf- und zusammenklappbare Arbeitstische wie dieser Sekretär von Müller Möbelwerkstätten liegen im Trend.
Die Verkleinerung des Mobiliars korrespondiert nicht zufällig auch mit einem anderen Phänomen der modernen Lebensführung: häufigen Umzügen. Auch in dieser Hinsicht erweist sich eine Reduktion der Umfänge als sinnvoll – wenn etwa beim Abtransport der Möbel statt sperriger Schränke abbaubare Regalmodule in die Hände genommen werden können. Zumal jene natürlich auch mit weniger Gewicht aufwarten als traditionelle Einrichtungsstücke.
Ein Quantum Farbe
Nicht nur bei der Größe, sondern auch in der farblichen Ausgestaltung der Räume ist in diesem Jahr weniger mehr. Knallfarben im Wohnbereich weichen dezenteren Tönen, das aber in durchaus fantasievollen, lebendigen Kombinationen. „Im Moment gibt es viele Blau- und Grüntöne in allen Intensitäten von Eisblau bis Smaragdgrün – gut kombinierbar mit Rosatönen für diejenigen, die sich trauen“, erklärt uns Innenarchitektin Oana Rosen.
Innenarchitektin Oana Rosen
„Dazu gern eingesetzt werden natürlich alle Messing und Kupfertöne.“ Dies sei allerdings nur eine Momentaufnahme, betont sie. „Wer jetzt plant und dem Trend voraus sein möchte, sollte davon schon wieder Abstand nehmen und sich wieder auf das gute alte Chrom besinnen.“
Auch klassische Farben wie Schwarz, Weiß, Grau und Erdtöne seien eine solide Wahl als Möbelfarben. „Es ist nicht falsch, zumindest bei einem Teil der Möbel, farblich recht neutral zu bleiben, das funktioniert trendunabhängig. Farbe kann man mit Dingen ins Spiel bringen, die leicht auszutauschen und nicht so kostspielig sind, wie Kleinmöbel, Wandfarben, Tapeten, Teppiche, Kissen oder Dekorationsartikel.“ Strenge Vorgaben möchte die Innenarchitektin hier allerdings nicht geben: „Erlaubt ist, was gefällt. Man sollte generell keine Farben nehmen, die zu extrem sind, denn daran sieht man sich schnell satt.
„WER DEM TREND VORAUS SEIN MÖCHTE, DER SOLLTE SICH WIEDER AUF DAS GUTE ALTE CHROM BESINNEN.“ – OANA ROSEN
Darüber hinaus gilt: Je größer die Wandfläche, desto vorsichtiger mit der Farbintensität. Es sei denn natürlich, man will es extrem oder ein Zeichen setzen!“ Dezenter werden in diesem Jahr auch die Muster: Sie werden kleinteiliger und treten dadurch etwas mehr in den Hintergrund. Psychologisch gesehen, spricht die Abkehr von grellen Farben und die Rückbesinnung auf klassische harmonisierende Töne für die Sehnsucht vieler Menschen nach Ruhe und Gemütlichkeit. Die eigenen vier Wände als Hort der Entspannung sollen den Gegenpol zum aufregenden, aber auch stellenweise hektischen und anstrengenden Leben in der Großstadt bilden.
Ein Bedürfnis, das auch auf kleinerem Raum ohne Weiteres befriedigt werden kann. Und folgt man den Worten Leonardo da Vincis, kann eine Verkleinerung des Raumes sogar eine Erweiterung des Horizonts zur Folge haben, meinte er doch: „Die kleinen Zimmer oder Behausungen lenken den Geist zum Ziel, die großen lenken ihn ab.“
Quelle: top-magazin-frankfurt.de/